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Anlagen- und Maschineninvestitionen: 6 Praxistipps

In der Anlagenkonzeption entscheidet sich, ob ein Unternehmen das technische Potential auch wirtschaftlich optimal ausnutzt. In einigen Fällen verzögert der Auswahlprozess gar die Anlagenbeschaffung, sodass das Unternehmenswachstum gebremst wird. Mit einem methodischen Vorgehen können Sie sicherstellen, dass der Auswahlprozess nachvollziehbar ist und das Ergebnis zu Ihrem Unternehmen passt. In diesem Artikel gebe ich Ihnen Tipps aus meinem Beratungsalltag.

1) Trennen Sie Ersatz- von Erweiterungsinvestitionen

Im ersten Schritt sollten Sie für sich definieren, warum Sie eine neue Maschine oder Anlage benötigen. Meiner Erfahrung nach passiert das in den meisten Fällen sehr spät oder gar nicht, wodurch die Begründung zur Investition und die Entscheidung für ein Anlagenkonzept schwerfällt.

Wachstum und eine Kapazitätserhöhung ist nicht immer der Grund für den Bedarf einer neuen Anlage.

Philipp Kappus, Manager Produktion

Fällt Ihre bestehende Anlage oft aus und kann nicht mehr prozesssicher produzieren? Haben Sie Qualitätsprobleme oder benötigt die Anlage mehr Personal als vergleichbare Lösungen? Dann könnte eine Ersatz- oder Rationalisierungsinvestition (im Folgenden nur Ersatzinvestition) anstehen: Die Anlage wird 1:1 ersetzt und auf den aktuellen Stand der Technik gebracht.

Reichen die Kapazitäten nicht mehr, weil Ihr Unternehmen gewachsen ist oder sich der Produktmix geändert hat? In diesen Fällen wird eine Erweiterungsinvestition notwendig. Dies kann durch Umbau der aktuellen Anlage oder durch die Anschaffung einer zusätzlichen oder größeren Anlage geschehen.

Wollen Sie mit der neuen Anlage beide Fälle abdecken? So trennen Sie die Anlagenteile in die verschiedenen Kategorien und überlegen sich, wie eine reine Ersatz- oder Erweiterungsinvestition aussehen würde. Es ist hierfür nicht notwendig, zwei weitere Angebote einzuholen und Anlagen neu konzipieren zu lassen, eine einfache Abschätzung und Aufteilung der Positionen reicht normalerweise aus.

Illustration von Investitionsarten bei einer Sachinvestition.
Abbildung 1: Investitionsarten bei einer Sachinvestition

2) Ist eine Neuanschaffung wirklich notwendig?

Um eine Neuanschaffung gut begründen zu können, sollten Sie zunächst eine Make-or-Buy-Analyse durchführen. Haben Sie einen zuverlässigen Partner, der die Produkte zur gleichen Qualität günstiger anbieten kann als es Ihre Herstellkosten mit der Neuinvestition wären? Diese Betrachtung sollte nicht nur aus rein wirtschaftlicher, sondern auch strategischer Sicht erfolgen. Folgende Gründe könnten trotz wirtschaftlicher Argumente gegen ein Outsourcing sprechen:

  • Know-How Verlust Ihrer Kernkompetenz
  • Qualität kann nicht sichergestellt werden
  • Mangelnde Zuverlässigkeit des Lieferanten
  • Erhöhung der Lieferzeit

Prüfen Sie vor der Investition, ob ein Zukauf wirtschaftlicher als die Eigenproduktion ist oder kleinere Anpassungen an der Anlage zum gleichen Ziel führen.

Philipp Kappus, Manager Produktion

Eine weitere Option könnten kleinere Optimierungen der Anlage oder im Prozess sein: Bei einer Erweiterungsinvestition stellen Sie sich die Frage „Warum kann die Nachfrage nicht mehr bedient werden?“ Gründe könnten zum Beispiel sein:

  • Die Anlage selbst schafft die notwendige Produktionsleistung, aber die Beschickung ist das Problem. Lösung: Sie könnten zusätzliches Personal bereitstellen oder den Prozess des Beschickens verbessern/automatisieren.
  • Die Leistung des Motors ist nicht ausreichend. Lösung: Ein Austausch eines Antriebes könnte eine Verbesserung mit sich bringen.
  • Erfahren Sie mehr zum Thema Process Mining in Produktion und Logistik oder zur Steigerung der Liefertreue bei Losgröße 1.

Bei einer Ersatzinvestition stellen Sie sich die Frage „Warum fällt die Maschine aus?“ oder „Warum ist die Qualität nicht wie gewünscht?“

  • Ein Stillstand der Maschine könnte durch „Predictive Maintenance“, also vorbeugender Instandhaltung, minimiert werden.
  • Die Qualität könnte zum Beispiel durch den Austausch von Verschleißteilen verbessert werden.
  • Erfahren Sie mehr über das Thema Qualität im Blog-Artikel „Produktqualität mit dem Control Plan sicherstellen“.

Kommen Sie zu dem Schluss, dass ein Zukauf sinnvoll ist oder eine Optimierung der Anlage zu einer signifikanten Verbesserung führt: Sehr gut, Sie haben Investitionen eingespart und können nun aufhören zu lesen. Falls nicht: Sie sind der Begründung für die Anschaffung einer neuen Anlage ein gutes Stück nähergekommen!

Portrait von Philipp Kappus.
Philipp Kappus

Manager Produktion

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Stehen Sie vor der Investition in eine neue Anlage oder einen Maschinenpark und suchen professionelle Beratung für die Konzeption oder Entscheidungsvorlage? Rothbaum steht mit jahrelanger branchenübergreifender Erfahrung an Ihrer Seite. Kontaktieren Sie mich gerne.

    3) Binden Sie Ihre Produktionsmitarbeitenden ein

    Fehlen die erforderlichen Informationen oder sind sie unzureichend, ist die Gefahr einer falschen Entscheidung groß. Nutzen Sie also alle Möglichkeiten, um Informationen zu generieren. Ihre Anlagenbediener und Instandhalter kennen sich am besten mit den Vor- und Nachteilen der aktuellen Anlage aus. Haben Sie bereits ein Vorschlagswesen im Unternehmen im Einsatz oder haben Sie bereits Verbesserungsvorschläge erfragt? Falls ja, haben Sie diese umgesetzt oder dem Vorschlagenden erklärt, warum eine Umsetzung nicht sinnvoll ist? Kommunikation ist essenziell, um langfristig gute Vorschläge zu erhalten und die Motivation der Belegschaft zu erhöhen.

    Unterschätzen Sie nicht das Wissen Ihrer Produktionsmitarbeitenden und Instandhaltenden!

    Philipp Kappus, Manager Produktion

    Spätestens aber, wenn Sie eine Ersatz- oder Erweiterungsinvestition planen, sollten Sie die Meinung der Mitarbeitenden einholen. Lassen Sie sich kritische Anlagenbestandteile vor Ort zeigen und legen Sie in den Vorgesprächen mit den Herstellern und im Lastenheft darauf einen besonderen Fokus. Nutzen Sie die Hinweise und Vorschläge auch bei der Prüfung der Neuanschaffung (siehe Punkt 2).

    4) Informieren Sie sich über den aktuellen Stand der Technik und schauen Sie über den Tellerrand

    Haben Sie schon eine Anlagenkonfiguration eines Herstellers im Fokus? Gehen Sie einen Schritt zurück und prüfen Sie mehrere Alternativen. Nur so können Sie die bestmögliche Entscheidung treffen. Hierzu ist es notwendig, nicht nur mit den Herstellern Ihres Maschinen- und Anlagenparks zu sprechen, sondern den Markt zu sondieren. Gibt es neue Player auf dem Markt? Hat ein Anlagenhersteller sein Portfolio erweitert?

    Prüfen Sie bei einer Investition stets das Digitalisierungspotential, um Vorteile gegenüber den Wettbewerbern zu schaffen.

    Philipp Kappus, Manager Produktion

    Ein guter erster Schritt sind der Besuch von einschlägigen Fachmessen und Gespräche mit Experten. Unabhängig davon können Sie auf Plattformen, wie www.werliefertwas.de oder Ausstellerlisten von Fachmessen recherchieren und die Hersteller direkt kontaktieren. Laden Sie diese ein und lassen Sie sich die neuste Anlagengeneration mit den optionalen Erweiterungen vorführen. Optimalerweise planen Sie Referenzbesuche, um einen Eindruck in der Praxis zu erhalten.

    Startseite der Plattform „Wer liefert was?“ zum Finden von Anbietern.
    Abbildung 2: Plattform „Wer liefert was?“ zum Finden von Anbietern

    Eine Investition in eine neue Anlage ist gleichzeitig ein guter Zeitpunkt, um über alternative Prozesse, Fertigungstechnologien, eine höhere Fertigungstiefe, Digitalisierungspotentiale oder einen höheren Automatisierungsgrad nachzudenken. Blicken Sie über den Tellerrand. Zu Beginn des Prozesses sollten alle Optionen mindestens kurz geprüft werden. Beispielsweise könnten additive Fertigungstechnologien bei geringen Losgrößen wirtschaftlicher als Ihre konventionellen Fertigungstechnologien sein.

    5) Trauen Sie sich, Entscheidungen zu treffen!

    Im vorigen Abschnitt habe ich Ihnen empfohlen, den Lösungsraum möglichst weit aufzuspannen und „Out of the Box“ zu denken. Im nächsten Schritt sollten Sie sich jedoch in einem pragmatischen Vergleich wieder auf zwei bis drei Varianten fokussieren, ansonsten besteht die Gefahr, dass das Projekt zu komplex wird und dadurch unverhältnismäßig verlängert wird. Ich empfehle die Gründe für die Entscheidung gegen eine Variante zu dokumentieren, damit das gesamte Vorgehen nachvollziehbar ist.

    Ich habe in vielen Projekten erlebt, dass Entscheidungen nur zögerlich getroffen werden. Konsequenz ist häufig eine unnötige Komplexitätssteigerung.

    Philipp Kappus, Manager Produktion

    Wenn sich Varianten ähneln, bzw. nur leichte Abwandlungen existieren, fassen Sie sie zusammen. Sollten Sie Schwierigkeiten bei der Auswahl haben, können Sie bereits eine erste grobe technisch-wirtschaftliche Nutzwertanalyse durchführen. (Siehe Abbildung 3)

    Ziel ist die Fokussierung auf etwa drei Varianten. Diese lassen sich nun viel detaillierter ausplanen und bewerten. Erstellen Sie im nächsten Schritt eine Entscheidungsvorlage für Ihren Vorgesetzten oder die Geschäftsführung und empfehlen Sie eine Variante. Im nächsten Abschnitt erkläre ich Ihnen das Vorgehen.

    6) Rechnen Sie einen detaillierten Business Case nach Vorgabe Ihres Unternehmens

    Für die wirtschaftliche Bewertung der Varianten existieren verschiedene Werkzeuge. Im Kern geht es in allen Methoden darum

    • die Einsparung von (laufenden) Kosten und/oder
    • die Generierung von zusätzlicher Marge

    den (einmaligen) Investitionen gegenüberzustellen.

    Der Business Case und die technische Nutzwertanalyse fassen alle Erkenntnisse zusammen und sind die Basis für die Entscheidung.

    Philipp Kappus, Manager Produktion

    Im ersten Schritt werden die einmaligen Investitionen und Kosten geschätzt. Generell gilt: Liegen keine Vergleichs- oder Erfahrungswerte vor, so konsultieren Sie entweder einen Experten oder holen Budgetangebote ein. Investitionen und einmalige Kosten können beispielsweise sein:

    • Anschaffung der neuen Anlage oder Maschine
    • Umbau/Erweiterung der bestehenden Anlage
    • Umzug/Rückbau der bestehenden Anlage
    • Eventuelle Restbuchwerte der bestehenden Anlage
    • Erweiterung, Umbau oder Neubau des Gebäudes
    • Projektmanagement
    • Posten für Unvorhergesehenes (5-10% der Gesamtsumme)

    Im zweiten Schritt werden die Einsparungen ermittelt, diese können sein:

    • Geringere Personalkosten (bspw. durch höheren Automatisierungsgrad)
    • Niedrigerer Instandhaltungsaufwand (Personal und Ersatzteile)
    • Materialeinsparungen (bspw. durch Technologiewechsel)

    Zusätzlich zu den Einsparungen können bei Ersatzinvestitionen noch die theoretisch entgangene Marge durch Ausfall der Anlage eingerechnet werden. Hierbei ist eine Untersuchung notwendig, wie lange die Anlage ausfallen würde.

    Bei einer Erweiterungsinvestition kann ebenfalls die entgangene Marge eingerechnet werden. In diesem Fall handelt es sich um die Nachfrage, bzw. das geplante Wachstum, das nicht bedient werden kann – üblicherweise der größte Hebel.

    Anschließend können die Varianten dann verglichen werden. Dies kann nach der Kapitalwertmethode (dynamisch oder statisch), mittels Berechnung des EBIT(DA)-Effekts oder vielen weiteren Verfahren durchgeführt werden.

    Neben den wirtschaftlichen Faktoren gibt es noch weitere technische Kriterien zu berücksichtigen, wie zum Beispiel:

    • Erweiterungsfähigkeit
    • Flexibilität
    • Umsetzungsrisiko
    • Projektplan und Umsetzungsdauer

    Diese werden am besten mittels paarweisen Vergleiches gewichtet und bewertet. Auch auf technisch-wirtschaftliche Nutzwertmethode werde ich in einem weiteren Blogartikel detaillierter eingehen.

    Infografik bzw. Graph zur technischen Nutzwertanalyse bei Anlagen- oder Maschineninvestitionen
    Abbildung 3: Beispielhafte technisch-wirtschaftliche Nutzwertanalyse

    Zusammenfassung

    Damit die Investition in eine neue Anlage oder Maschine wirtschaftlich ist, müssen viele Faktoren berücksichtigt werden: Prüfen Sie genau, ob es eine Alternative zur Neuanschaffung gibt, beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden ein und vergleichen Sie unterschiedliche Varianten technisch und wirtschaftlich. Nur durch den Vergleich können Sie sicher sein, die beste Option für Ihr Unternehmen ermittelt zu haben. Um keine der Faktoren zu vergessen, lassen Sie sich von Experten unterstützen!

    Portrait von Philipp Kappus.

    Philipp Kappus

    Manager Produktion, Frankfurt

    Detaillierte Praxiserfahrung in der Fabrik-, Produktions- und Maschinenplanung hat Philipp Kappus bei einer Vielzahl von Unternehmen gesammelt. Der Wirtschaftsingenieur leitet seit 2019 das Rothbaum-Office in Frankfurt.

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