6 Praxistipps zur Reduktion Ihrer Distributionskosten
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Die Auswirkungen der Corona-Krise auf industrielle Wertschöpfungsketten sind noch nicht vorüber, da wartet auch schon die nächste, operative wie strategische Herausforderung: der Brexit. Anfang 2021 ist das Vereinigte Königreich aus der EU aus- und in eine Phase der Unsicherheit hineingetreten. Wir zeigen Ihnen, welche Herausforderungen für Ihre Supply Chain entstehen können und wie Sie sich vorbereiten können.
Am 31. Januar 2020 ist das Vereinigte Königreich offiziell aus der Europäischen Union ausgetreten. Seitdem gilt bis Ende des Jahres eine Übergangsregelung, in der sich für Unternehmen und Bürger auf beiden Seiten zunächst keine Veränderungen ergeben. Die Verhandlungen über die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen jedoch sind seit Langem festgefahren. Zuletzt kamen noch die dringenden Probleme der Corona-Krise hinzu und haben das Risiko eines harten Brexits nahezu vollständig in den Hintergrund gedrängt.
Der No-Deal-Brexit ist ein reales Risiko für Ihre Supply Chain.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Für die Unternehmen sind die potentiellen Risiken damit jedoch nicht aus der Welt geschaffen. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexits und damit auch die Supply Chain Risiken sind de facto gestiegen. Höchste Zeit also, dass sich die Unternehmen mit den möglichen Auswirkungen beschäftigen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Funktion ihrer Supply Chain zu gewährleisten. Denn auch wenn Ihr Unternehmen nicht direkt Vorerzeugnisse aus Großbritannien bezieht, tun dies eventuell ihre Zulieferer.
In diesem Artikel möchte ich Ihnen daher aufzeigen, welche Konsequenzen für Ihre Supply Chain drohen und welche geeigneten Gegenmaßnahmen Sie ergreifen können.
Der Anteil Großbritanniens an den Gesamtexporten der EU beträgt 6,6%. Je nach Branche jedoch ergibt sich ein differenziertes Bild: so exportierte bspw. die deutsche Automobilindustrie in 2019 knapp 600.000 Fahrzeuge in das Vereinigte Königreich.
Die wahrscheinliche Folge eines No-Deal-Brexit ist ein Szenario, in dem der freie Warenverkehr durch ein tarifbasiertes System nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO ersetzt würde. Die bisher zollfreien Exporten würden – je nach Warenklasse – mit Importzöllen und Einfuhrumsatzsteuern belegt und somit für den Kunden in Großbritannien zum Teil empfindlich teurer werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass europäische Unternehmen entsprechende Umsatz- und Gewinneinbußen dieser Transaktionen hinnehmen müssen, ist also hoch. Am Beispiel der USA zeigt sich zudem, dass Zölle von populistisch agierenden Regierungen auch bevorzugt als unmittelbares Druckmittel eingesetzt werden und entsprechende Unsicherheit bei Konsumenten und Unternehmen verursachen.
Zunächst einmal sollten Sie die INCOTERMS Unternehmenspolitik umgestalten. Neukunden sollten keine INCOTERMS mit Verzollung mehr angeboten werden und Bestandskunden sollten nach Möglichkeit umgestellt werden. Durch diese Maßnahmen können Sie zumindest die unmittelbaren Kosten vermeiden, dennoch würden Ihre Waren so oder so zu einem höheren Preis verkauft werden.
Prüfen Sie, ob Ihre Produkte mittels CKD-Ansatz von günstigeren Importzöllen profitieren können.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Unternehmen sollten daher prüfen, inwiefern sie Zölle und andere tarifäre Handelshemmnisse durch eine veränderte Wertschöpfungsstruktur umgehen können. Ein möglicher Lösungsansatz wird seit Jahren erfolgreich in der Automobilindustrie gelebt: im CKD-Ansatz (Completely Knocked Down) werden nicht fertige Fahrzeuge, sondern vollständige Bausätze exportiert. Durch diese Verlagerung des letzten Montageschrittes in das jeweilige Absatzland lassen sich zwei Vorteile erzielen:
Senior Manager Supply Chain Management
Möchten Sie Ihre Supply Chain auf die verschiedenen Szenarien des Brexits vorbereiten? Rothbaum steht mit erwiesener Expertise und jahrelanger Erfahrung an Ihrer Seite. Kontaktieren Sie mich gerne.
Wenn Ihr Unternehmen oder auch Ihre Lieferanten wesentliche Komponenten und Vorprodukte aus dem Vereinigten Königreich beziehen, werden Sie zukünftig zu höheren Kosten einkaufen.
Grundsätzlich können Sie daher mit Ihren Lieferanten dieselben Gegenmaßnahmen vereinbaren wie zuvor beschrieben. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass Sie in vielen Fällen alternative Lieferanten in den verbliebenen 26 Fremdstaaten der EU finden werden.
Hierzu sollten Unternehmen Ihre Stücklisten und Baugruppenstrukturen tiefgreifend analysieren: Welche Komponenten werden derzeit unmittelbar aus Großbritannien bezogen? Welche Ihrer Endprodukte bestehen zu einem wesentlichen Anteil aus diesen Artikeln? Zudem sollten Sie prüfen, welche Lieferanten einen hohen Wertschöpfungsanteil in Großbritannien haben und welche Ihrer Endprodukte hiervon betroffen sind.
Analysieren Sie Ihre Produkte auf den britischen Wertschöpfungsanteil.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Insbesondere für Unternehmen mit einer hohen Variantenvielfalt oder komplexen Baugruppenstrukturen in SAP sind diese Analysen sehr aufwendig. Aufgrund der Kürze der Zeit ist es zudem notwendig, sich auf die für die eigene Wertschöpfung wichtigsten Zulieferartikel zu konzentrieren. Mit Hilfe professioneller Tools wie Soley können diese Analysen zeitsparend und kollaborativ durchgeführt werden.
Sofern Sie Ihre Produkte wiederum in das Vereinigte Königreich verkaufen, sollten Sie die Möglichkeit einer Beistellung der zuvor identifizierten Artikel prüfen. Zugegeben, dieses Vorhaben ist aufwendig in der Ausführung und nicht für jedes Unternehmen relevant, aber die Importzölle in die EU könnten vollständig vermieden werden.
Nach dem Ende der Übergangsphase würden im Falle des No-Deal-Brexit über Nacht die Schlagbäume fallen. Derzeit ist davon auszugehen, dass bis dahin insbesondere auf britischer Seite keine ausreichenden Kapazitäten in der Zollbehörde geschaffen werden können, um das zu erwartende Warenaufkommen zeitnah abzufertigen. Da der Warenverkehr zwischen der britischen Insel und dem europäischen Festland hauptsächlich über die Achse Calais-Dover abgewickelt wird, rechnen Experten daher mit langen Staus und Wartezeiten vor der Abfertigung. Einen Vorgeschmack gab es bereits vor 5 Jahren, als der Hafen von Calais bestreikt wurde.
Die Lieferfähigkeit ist in den ersten Monaten ernsthaft gefährdet.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
In der Folge würde es zu massiven Verspätungen von mehreren Tagen kommen. Gerade zeitkritische Sendungen in eng getakteten Wertschöpfungsketten werden hiervon betroffen sein, sodass diese Supply Chains aus dem Takt geraten können und die Lieferfähigkeit der Unternehmen gefährdet wird.
Sofern möglich, sollten Unternehmen daher in den kommenden Monaten gezielt Bestände an strategisch günstigen Lagerpositionen innerhalb der Supply Chain aufbauen, um die zu erwartenden Störungen ausgleichen zu können. Nutzen Sie die verbleibende Übergangsphase, um dabei Kosten und Aufwände für die Verzollung zu umgehen.
Unternehmen, die Ihre Produkte in das Vereinigte Königreich exportieren, müssen diese zusätzliche Tage Lieferzeit in ihrer Absatzplanung berücksichtigen. Dies gilt im Speziellen für Produkte, bei denen die Lieferzeit ein wesentliches Leistungsmerkmal darstellt wie bspw. Ersatzteile oder Werkzeuge für die Etikettenbranche. Eine Verlängerung der Lieferzeit kann aus Sicht der Kunden einen starken Wettbewerbsnachteil darstellen, welcher ohne Kompensation zu geringeren Absatzmengen führt. Ein besonderer Fall sind verderbliche Waren, bei denen die Verzögerungen zudem vor Versand bei der Berechnung der Resthaltbarkeit berücksichtigt werden sollten.
In den Service Level Agreements sind oftmals verschiedene Lieferzeiten und Materialverfügbarkeiten vereinbart, zu deren Einhaltung sie verpflichtet sind. Neben der eigenen Absatzplanung sollten Unternehmen daher auch die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Ihren Kunden überprüfen und notfalls anpassen.
Überprüfen Sie Ihre Versprechen gegenüber Ihren Kunden.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Wenn Ihr Unternehmen auf zeitkritische Lieferungen aus oder nach Großbritannien angewiesen ist und Sie bis zum Ende der Übergangsphase keine ausreichenden Alternativen schaffen können, sollten Sie ausreichend Luftfrachtkapazitäten reservieren. Da die Preise für Luftfracht am Spotmarkt teils deutlich von Kontraktraten abweichen und aufgrund der Corona-Krise mit deutlich verringerter Frachtkapazität zu rechnen ist, sollten Sie dabei so früh wie möglich handeln.
Als sogenannter Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter (AEO: Authorized Economic Operator) können Sie von zahlreichen Erleichterungen in Ihren logistischen Abläufen auf beiden Seiten der neuen Grenze profitieren. Unternehmen sollten sich daher rechtzeitig um die Bewilligung seitens der britischen Regierung bemühen.
Mit dem Ende der Übergangsphase endet auch die automatische Geltung europäischer Gesetze und Normen im Vereinigten Königreich. Damit erwachsen zahlreiche regulatorische und rechtliche Fragestellungen, die Unternehmen zu beachten haben.
Nahezu alle industriellen Warenflüsse werden von IT Systemen gemanagt oder betrieben. Leider steht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht fest, wie das Zollregime, die Ausfuhrkontrollen und andere regulatorisch-rechtliche Rahmenbedingungen zukünftig gestaltet werden. Klar ist nur, dass Unternehmen diese neuen Regelungen und Anforderungen zeitnah in ihren Prozessen abbilden sollten. Achten Sie deshalb darauf, ausreichend IT Ressourcen in Ihrem eigenen Unternehmen und bei Ihren externen IT-Dienstleistern zu reservieren, um die zu erwartenden Anpassungen in kurzer Zeit leisten zu können.
Sie brauchen Ihre IT mit Gewehr bei Fuß.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Besonders relevant werden die neuen Anforderungen für exportkontrollrelevante Waren (Dual-Use-Güter oder militärische Produkte), da im Falle von Verstößen mit erheblichen Geld- und Freiheitsstrafen zu rechnen ist. Dies sollten Unternehmen daher beachten, wenn sie die Ausfuhr dieser Warenklassen in das Vereinigte Königreich vornehmen.
Der Brexit wirft seinen Schatten voraus und stellt Unternehmen auf beiden Seiten der neuen Grenze vor große Herausforderungen. Die festgefahrenen Positionen der Verhandlungspartner bieten dabei keinerlei Sicherheiten darüber, auf welches Szenario und auf welche konkreten Rahmenbedingungen sich die Handelspartner einstellen müssen. Daher müssen Unternehmen wachsam bleiben, die Entwicklungen genau verfolgen und sich auf alle Eventualitäten vorbereiten.
Senior Manager, Hamburg
Kai Philipp Bauer studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Produktionstechnik und ist seit über zehn Jahren in der Beratung tätig. Er berät seine Klienten insbesondere in Fragen der Strategieentwicklung, des Operations Managements und der digitalen Transformation.
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